· Mechernich

Stolpersteine glänzen wieder

Vor der Haustür von Rainer Schulz in der Gielsgasse ging es los: Nach kurzer Einarbeitung starteten die Jugendrotkreuzler ihren Rundgang durchs Dorf. Foto: Kerstin Rottland/pp/Agentur ProfiPress
Jetzt glänzen sie wieder: Die eingravierten Namen der im Holocaust vertriebenen und getöteten Bürgerinnen und Bürger Mechernichs und seiner Stadtteile. Foto: Kerstin Rottland/pp/Agentur ProfiPress
Schrubben, Wischen, Polieren: Der JRK-Nachwuchs bewies, dass er keine Angst hat, sich die Hände schmutzig zu machen. Foto: Kerstin Rottland/pp/Agentur ProfiPress

Jugendrotkreuzler rückten Schmutz und Abrieb mit Schwämmen und Politur zuleibe – 68 Messingsteine im Stadtgebiet – Aktion „gegen das Vergessen“: Seit sechs Jahren Tradition

Mechernich-Kommern – „So einfach wie bei Gläsern geht es nicht, man muss echt kräftig schrubben“, keucht Charlotte (12) aus Mechernich. Vier Minuten später erhebt sich die Schülerin aus der Hocke. „Fertig! Jetzt glänzt er wieder.“ 

„Er“ ist ein Stolperstein: klein, quadratisch, aus Messing – und ziemlich verschmutzt. Kein Wunder, die letzte Putz-Aktion liegt sechs Monate zurück. Unzählige Menschen sind seitdem den gepflasterten Bürgersteig der Gielsgasse entlang gelaufen – allein schon beim historischen Handwerkermarkt neulich. Zugegeben, nicht alle Passanten werden mit den Augen über die ungewöhnlichen Pflastersteine „gestolpert“ sein, die vor den Häusern Nummer 20 und Nummer 5 verlegt sind, um an deportierte jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger zu erinnern. Sehr viele  – in der Dunkelheit zum Beispiel, oder weil sie am Handy oder in Gedanken waren – sind vermutlich draufgetreten. Das (und auch die Witterung) hat Spuren hinterlassen: Was erklärt, warum das Messing nach einem halben Jahr nicht mehr ganz so glänzt. Und Charlotte kräftig schrubben muss. 

Erster Stein in Mechernich wurde vor 19 Jahren verlegt

 

Mit ihren Freundinnen und Freunden aus der Mechernicher Jugendrotkreuz-Gruppe ist Charlotte an diesem regnerischen Donnerstagabend nach Kommern gekommen, um einer sechsjährigen Tradition zu folgen: Alle Stolpersteine im Stadtgebiet sollen wieder glänzen – so funkelnd und sauber, dass man sie partout nicht übersehen kann. Anlass für die Aktion ist der Jahrestag der Reichspogromnächte vom November 1938. Mithilfe der sogenannten „Stolpersteine“ wird an die zahllosen Opfer von Hass und Verfolgung erinnert, die es zu der Zeit allerorten – und natürlich auch in Mechernich – gegeben hat. 68 solcher Steine, beschriftet mit den Namen der Vorfolgten und geschaffen von dem Künstler Gunter Demnig, gibt es inzwischen auf Mechernicher Stadtgebiet. Nicht alle werden immer so pfleglich behandelt, wie die Stolpersteine vor dem Haus von Rainer Schulz, Mitglied des Arbeitskreises „Forschen – Gedenken – Handeln“. Zusammen mit seinen Mitstreitern hat er die Stolperstein-Aktionen 2006 ins Leben gerufen. „Der erste Stein im Stadtgebiet wurde vor 19 Jahren verlegt“, berichtet Schulz. 

Seitdem ist viel Regenwasser den Bleibach hinabgeflossen. „Wenn das Messing nicht regelmäßig gepflegt wird, kann man die Namen darauf irgendwann nicht mehr lesen“, sagt Rainer Schulz. „Das würde bedeuten, dass die Menschen, denen so viel Schreckliches widerfahren ist, irgendwann vergessen wären.“ 

Keine Angst vorm „Händeschmutzigmachen“

 

Gut, dass es das JRK gibt, allen voran Sascha Suijkerland, der sich für die kommenden Abende einiges vorgenommen hat:  „Die 68 Stolpersteine liegen über sämtliche Ortsteile verteilt. An einem Abend ist das nicht zu schaffen.“ Der engagierte Teamleiter lächelt. „Aber mit vereinten Kräften kriegen wir das auf jeden Fall wieder hin!“

Auftakt der diesjährigen Aktion war am vergangen Donnerstag: Vor dem Haus vor Rainer Schulz wurde kurzerhand der Mannschaftsbus geparkt, aus dem zehn Nachwuchs-Rotkreuzler kletterten. Ausgerüstet mit Schwämmen, Lappen und einer Flasche Messingreiniger zogen die zehn jungen Leute samt erwachsenen Begleitern bei feucht-kühler Witterung durch die Gassen Kommerns. Für die Ausleuchtung am Arbeitsplatz sorgten die Scheinwerfer des Kleinbusses. Angst, sich die Hände schmutzig zu machen, hatte hier niemand, im Gegenteil: Alle waren mit viel Engagement bei der Sache. 

Warum die Aktion dem JRK Mechernich so wichtig ist? Sascha Suijkerland kennt viele Gründe, allen voran jedoch nennt er diesen: „Menschlichkeit!“ Das sei schließlich auch der oberste Grundsatz des Roten Kreuzes. „Darum setzen wir uns vor Ort mit unserer Jugend Jahr für Jahr gegen das Vergessen ein! Immer in der letzten Gruppenstunde vor St. Martin wird fleißig geputzt. Und am Jahrestag der Pogromnacht stellen wir dann noch überall ein Kerzchen auf.“ Damit bald wieder ganz viele Vorübergehende mit den Augen an den blitzblank gewienerten Messingschildern hängebleiben. Und die Menschen, denen in ihrer Heimat ganz schreckliches Unrecht getan wurde, nicht in Vergessenheit geraten. 

pp/Agentur ProfiPress